WÖLFE UND UNESCO-WELTKULTURERBE – DAS MECKLENBURGISCHE STAATSTHEATER SCHWERIN – EIN PORTRÄT
Das Große Haus des Staatstheaters in der mit knapp unter hunderttausend hinsichtlich der Einwohnerzahl kleinsten deutschen Landeshauptstadt zählt zu den vor dem Residenzschloss der Mecklenburger Großherzöge angelegten Ensembles aus Kultur- und Regierungsbauten.
Nachbar des Großen Hauses und einstigen Hoftheaters ist die Staatliche Kunstsammlung. Der stilsicher Formengut der griechischen Antike verarbeitende, 1882 eingeweihte Museumsbau wird derzeit saniert. Unweit residiert die gegenwärtige Landeschefin in einem monumentalen spätklassizistischen Bau aus der Schinkelnachfolge, der bis 1918 Sitz des Großherzoglichen Staatsministeriums war. Nahebei lässt sich in einem metropolitan dimensionierten Café komfortabel entspannen.
Die Lokalität geht auf eine Hofkonditorei aus dem 18. Jahrhundert zurück. Ein Wandgemälde aus den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zeigt eine Stadtansicht von Prag, letzter Hinweis auf den zu realsozialistischen Zeiten einzigen Ort des Ausschanks von tschechischem Bier in Schwerin.
Leicht verliert sich im Caféhaus das Zeitgefühl. Es braucht einen Ruck, um sich zurück zum Staatstheater zu begeben. Dort am Alten Garten versammelte sich 1989 der Bürgerprotest gegen das DDR-Regime.
Das Schweriner Staatstheater setzte in der Endphase der DDR allererst im Schauspiel Zeichen. Dessen legendärer Chef Christoph Schroth entwickelte zwischen 1974 und 1989 Formate, deren subversive Kraft den zivilgesellschaftlichen Diskurs beflügelte. Am Abend des Mauerfalls stand Schillers Wilhelm Tell in Schroths Regie auf dem Spielplan. Die Produktion gastierte dann auch bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen.
Die heutige Leitung, an ihrer Spitze Generalintendant Hans-Georg Wegner, steht für die Beteiligung des Hauses an zivilgesellschaftlichen Debatten auch im Musiktheater, so bei den letzten Schlossgartenfestspielen im Großen Haus mit „Wölfe.
Dokumentarische Naturoper aus Mecklenburg“ . Die Musik schuf die estnische Komponistin Helena Tulve auf ein Libretto der Hausregisseurin am Staatstheater Nina Gühlstorff. Selbstredend hatte Gühlstorff selbst die Uraufführung über das brandaktuelle Thema der Wolfseinwanderung ins Land und die damit verbundenen gesellschaftlichen Konflikte, etwa zwischen Schafzüchtern und Wolfsaktivisten, in Szene gesetzt.
Eine für das Glas Wein nach der Vorstellung erbötige Lokation in der Schweriner Altstadt trägt die Eule im Wappen. Das Weinhaus geht zurück auf einen württembergischen Migranten des 18. Jahrhunderts, der seinen neuen Landesherrn im deutschen Nordosten mit merkantiler und gastronomischer Kompetenz überzeugte. Das von den Nachfahren erbaute Weinrestaurant wurde 1906 eröffnet. Es verfügt über historische Räume im Stil der Zeit wie auch über ein elegant nach gegenwärtiger Facon möbliertes Bistrot mit gesprächsfördernder Atmosphäre.
Offenbar werden in Schwerin die Bürgersteige früh hochgeklappt. Doch kaum graut der nächste Morgen, macht sich die Stadt schon wieder auf die Beine. Genug Motivation zu einem Spaziergang noch vor dem Frühstück. Der führt zunächst um den historischen Theaterbau herum. Bei seiner Einweihung im Jahr 1886 zählte das ehemals Großherzogliche Hoftheater zur fortschrittlichsten Theaterarchitektur ihrer Zeit. Nicht so sehr wegen der angenehmen Proportionen der Neorenaissance-Fassade, der Auffahrt für die landesherrliche Kutsche und dem reichen, doch nie überbordenden neobarocken Schmuck des Zuschauersaals mit dem von Anbeginn zum Interieur gehörigen Schmuckvorhang Ernst Hartmanns.
Schon eher der für die Zeit neuen bereits außen ablesbaren deutlichen Unterscheidung von Foyer, Zuschauer- und Bühnentrakt halber.
Ganz sicher aber, weil Hofbaumeister Georg Daniel eine eigene Infrastruktur für das Theater schuf. Eingedenk der Brandkatastrophe, die den Vorgängerbau niederlegte, wurde das Haus als erstes Theater überhaupt elektrifiziert. Der Strom kam aus einem eigens dafür errichteten Elektrizitätswerk. Ein in einigem Abstand zum Theater errichteter Kulissenbau trug sowohl dem Brandschutz als auch steigendem Platzbedarf Rechnung.
Auf dem Rückweg fällt der Blick auf das Schweriner Schloss, eine spätromantischen Übertragung der Loireschlösser, vor allem Chambords, in den deutschen Norden. Im Verein mit den vorgelagerten Regierungs- und Kulturbauten ist es Kandidat für das UNESCO-Welterbe. Das Große Haus des Mecklenburgischen Staatstheaters mit den zugehörigen Umgebungsbauten präsentiert sich als Teil des welterbeverdächtigen Architekturensembles.
Michael Kaminski